Religionswissenschaft

© Dominik Vanyi (Unsplash)

Die Deutsche Vereinigung für Religionswissenschaft (DVRW) hat bei der Formulierung des eigenen Fachverständnisses festgehalten:

„Nach Verständnis der DVRW ist Religionswissenschaft eine bekenntnisunabhängige Gesellschafts- und Kulturwissenschaft. Sie beschäftigt sich kulturvergleichend mit menschlichen Handlungen, Vorstellungen und Institutionen in Geschichte und Gegenwart, die gemeinhin und aus Gründen, nach denen die Religionswissenschaft selbst forscht, als 'religiös' betrachtet werden.

Sie fragt auf der Basis vielfältigen Quellenmaterials (Texte, Bilder, Filme, Architekturen usw.) sowie empirischer Daten (Umfragen, Interviews, Statistiken usw.) nach den Funktionen von Religion in der Gesellschaft, nach Grundmustern religiösen Wandels, nach Formen der Interaktion mit anderen Religionen oder anderen sozialen Systemen (z. B. Politik, Wirtschaft, Recht, Wissenschaft) und vielem anderen mehr.

Wegen der enormen Breite ihres Gegenstandsbereichs, der unterschiedlichen Fragestellungen und Erkenntnisinteressen, erprobt die Religionswissenschaft auch Theorien und methodische Ansätze anderer wissenschaftlicher Disziplinen, um schließlich eigene Theorien zu entwickeln, die zu einem vertieften Verständnis des Phänomens 'Religion' beitragen.“

Auf dieser Grundlage aufbauend setzt sich die Religionswissenschaft mit dem Forschungs- und Anwendungsfeld Schule auseinander und entwickelt Konzepte für säkularen bekenntnisunabhängigen schulischen Unterricht über das Phänomen „Religion“. Ein solcher Unterricht muss folgenden fachdidaktischen Kriterien  und Zielen gerecht werden.

  • Fachdidaktische Kriterien
    • Säkulare Wissens- und Kompetenzvermittlung, keine inter-/religiöse Bildung
    • Weder religionskritisch noch religionsaffirmativ über Religion/en sprechen, sondern deskriptiv-analytisch
    • Verwendung metasprachlicher Begriffe (bzw. Vermeidung objektsprachlicher Begriffe)
    • Wahrung der positiven und negativen Religionsfreiheit
    • Wahrung des staatlichen Neutralitätsgebots und des Beutelsbacher Konsens‘
    • Keine Bevorzugung bestimmter religiöser Traditionen oder Werte, sondern Gleichbehandlungsgrundsatz
    • Dekonstruktion von monolithischen, universalisierend-substantiellen oder rein funktionalistischen Religionsverständnissen zugunsten eines kulturkundlich-diskursiven Verständnisses
    • Perspektivenvielfalt, Multiperspektivität und Interdisziplinarität:
      • Darstellung von sich ggf. widersprechenden Narrativen, von Innen- und Außenperspektiven, Selbst- und Fremdwahrnehmungen
      • Sichtbarmachung der Pluralität von Positionen und Verständnissen innerhalb religiöser Traditionen, etwa im Sinne eines Diskursvergleichs, der Argumentationsstrategien und Aushandlungsprozesse innerhalb unterschiedlicher Traditionen abbildet.
      • Stereotypisierungen vorbeugen: Keine engführenden, generalisierenden Darstellungen durch nur eine Akteurin oder nur einen Akteur einer religiösen Tradition, die/der stellvertretend für diese spricht; gleiches gilt für Fremddarstellungen bezogen auf bestimmte religiöse Traditionen
      • Einbezug postkolonialer Theorien, feministischer Ansätze, Geschichtsdidaktik, uvm.
    • Religion/Religiosität als eine Dimension von Diversität (neben anderen) in ihrer intersektionalen Verschränktheit erfassen, keine Überbetonung von Religion
    • Dreischritt individuell – lokal – global: Religiöse Tradition zunächst individuell-lebensweltlich, dann lokal-institutionell und anschließend in ihren globalen Verflechtungen in den Blick nehmen
    • Verzicht auf Werturteile bei gleichzeitiger Reflexion individuell-biographischer, sozio-kultureller sowie historisch-politischer Einflüsse auf die Konstruktion von (eigenen und gesellschaftlichen) Wert- und Normvorstellungen

    In Anlehnung an die Religionswissenschaftlerinnen und Religionswissenschaftler Wanda Alberts, Bengt-Ove Andreassen, Jenny Berglund, Katharina Frank, Robert Jackson, Karna Kjeldsen, Anja Lüpken, Stefan Schröder und Christina Wöstemeyer.

  • Ziele religionskundlichen Unterrichts
    • Kennenlernen religiös-weltanschaulicher Diversität in Geschichte und Gegenwart
    • Aufzeigen von Dynamiken religiöser Gegenwartskultur
    • Kontextualisieren religiöser Phänomene in gesellschaftliche, historische, soziale und politische Zusammenhänge
    • Erlangen religionskundlichen Wissens über religiöse und nichtreligiöse Individuen, Gemeinschaften und Symbolbestände
    • Unterscheiden religiöser Selbst- und Fremdzuschreibungen sowie religiöser und säkularer Redeweisen über Religion/en und Weltanschauungen
    • Sensibilisieren für verschiedene Perspektiven auf den Gegenstand Religion
    • Limitierte Perspektivwechsel einüben, aber keine (religiöse) Positionierung zu religiösen Fragen vornehmen
    • Beschreiben, Vergleichen und Analysieren von Kategoriensystemen und deren Begründungslogiken, mit denen Religion/en und Weltanschauungen systematisiert werden und spezifisches Handeln legitimiert wird (z.B. Dekonstruktion des Weltreligionenparadigmas)
    • Identifizieren und kritisches Hinterfragen hegemonialer Machtverhältnisse und Deutungshoheiten in Zusammenhang mit Religion/en und Weltanschauungen
    • Bei Religionskunde handelt es sich nicht um ethische Wertevermittlung, Sinn- oder Orientierungsstiftung
In ihrer Funktion als Bezugsdisziplin...

... für das Fach Werte und Normen ist die Religionswissenschaft für die Gestaltung der religionsbezogenen Anteile des Fach zuständig.  Dies trifft gegenwärtig jedoch nur auf die Konzeption der religionswissenschaftlichen Lehramtsanteile zu. An der Erstellung curricularer Vorgaben für das Schulfach ist die Religionswissenschaft bislang nicht beteiligt.